Musiker, bildende Künstler, Designer sind für mich Vorbilder, wenn es um Lebensgestaltung geht. Sie zeigen, wie man proaktiv ins Tun kommt und dabei dennoch hochkonzeptionell arbeitet. Sie denken in Prozessen, nicht in Endpunkten. Gerade in Übergängen, nämlich dort, wo das Leben neue Kapitel aufschlägt, liegt ihre besondere Stärke, denn sowohl auf der Bühne, als auch vor einer weissen Leinwand oder einem rohen Klumpen Ton zählt nur eines: Intuitiv und entscheidungsstark von der Idee ins Jetzt zu kommen. Dorthin, wo die Umsetzung passiert.
Kurzer Eindruck von unserer kreativen Kollaboration, um die "tun tut gut – pantone unikate" zu drucken. Einmalig.
Ein gutes Beispiel ist Martin Walch. Nach über zehn Jahren als Direktor der Kunstschule Liechtenstein tritt er ab und übergibt die Leitung an Sebastian Frommelt. Für viele wäre dies der Beginn einer ruhigen Pension. Für Martin ist es der Aufbruch: Mit 65 Jahren erfindet er sich als Künstler neu und bereitet sich unter anderem auf einen sechsmonatigen Artist-in-Residence-Aufenthalt in Berlin vor.
„Tun tut gut“ ist dafür ein passendes Motto. Es macht deutlich: Nicht der Abschluss zählt, sondern der Prozess. Das Leben besteht aus Übergängen, und sie wollen aktiv gestaltet werden.
Drei Tage lang arbeitete Martin Walch neben mir an der Druckerpresse, zwischen Holzlettern, Büttenpapier und alten Letraset-Bögen. Aus der Idee, ihm als scheidendem Direktor der Kunstschule Liechtenstein eine Coverstory zu widmen, wurde eine intensive Zusammenarbeit mit inspirierenden Gesprächen voller Humor und Ernsthaftigkeit, kombiniert mit künstlerischem Handwerk.
Obwohl ich Martin persönlich und als Stiftungsrat der Kunstschule seit sehr langem kenne und schätze, durfte ich ihn bei dieser Gelegenheit nicht nur als Künstler, sondern auch als Menschen erleben, der Übergänge gestaltet wie kaum ein anderer.
Martin hat die Kunstschule über viele Jahre geprägt: menschlich, humorvoll, tiefgründig und voller Charme. Er ist eine Kapazität in der liechtensteinischen Kunstszene, international vernetzt und dennoch ganz nahbar. Nun verabschiedet er sich aus seiner Rolle als Direktor. Doch von einem Rückzug ist keine Rede. Im Gegenteil: Mit 65 Jahren bricht er auf zu neuen Projekten – und die daraus entstehende Energie spürt man in seiner Gegenwart förmlich.
Ein etwas ausführlicherer Einblick in unsere Kollaboration und die künstlerischen Details.
Martin sagt, seine Kunst sei für Galeristen schwierig, da ein roter Faden in seinem Werk schwer erkennbar ist und mit Bildern allein kaum erfasst werden kann, ohne den Prozess und die Haptik im Detail beschreiben oder sogar erfahren zu können.
Ein prominentes Beispiel dafür sind – neben vielen anderen Werken – seine Taschentücher. Stofftaschentücher, früher Inbegriff konservativer Männlichkeit, standen für Heimat, Tradition und Norm. Quadratisch gebügelt, kleinkariert gemustert, als Hochzeitsgeschenk geschätzt, und gleichzeitig intime Objekte, „im und am Sack“.
Sie verbinden Alltägliches mit gesellschaftlicher Symbolik. Das Herrentaschentuch, traditionell ein Accessoire männlicher Bürgerlichkeit, wird in seiner Kunst zum Träger von Texten und Bedeutungen. Durch die Kombination von Beckett-Fragmenten und Bibelzitaten legt Martin die Strukturen patriarchaler Traditionen offen und macht sichtbar, wie Rollenbilder und Normen im Kleinen – oder eben im Kleinkarierten – ihren Ausdruck finden. Zugleich verweist er auf die Ambivalenz von Ordnung und Enge: Das akribisch Gebügelte steht für Kontrolle, aber auch für Geborgenheit. Sein Werk zeigt so, dass selbst banale Alltagsobjekte Dynamiken zwischen Privatem, Gesellschaftlichem und Kulturellem verkörpern können.
Wie bei vielen seiner Werke macht Martin damit „gefundene“ Objekte zum Kunstträger. Er griff auch das Ritual des Knotens im Taschentuch auf – als Erinnerungshilfe und als künstlerische Irritation. Immer wieder variierte er den Satz „Ich weiss“: doppeldeutig in Farbe und Wissen, ironisch gebrochen mit religiösen Phrasen wie „Ich bin das Licht der Welt“.
So wurde das Banale zum Träger von Tiefe. Das Volksblatt schrieb 2005 über seine Ausstellung: „Schon nach dem dritten Tuch kann man aufhören zu lesen, denn man weiss, wie es weitergeht. Es sind immer die gleichen Sätze, nur die Namen und Zahlen ändern sich. Kleinkarierte Zitate.“
Sein Ansatz: Kunst ist Prozess, nicht Produkt. Er füllte Wände mit Farbstiftzeichnungen, die berührungsempfindlich waren. Besucher hinterliessen Spuren – zunächst ungewollt, dann bewusst. Plötzlich wurde der Betrachter Teil der Autorschaft.
Diese Haltung zieht sich durch: Kunst ist für Martin nie Selbstzweck, sondern braucht ein Gegenüber. Natur, Menschen, sogar Tiere dürfen eingreifen. Glasflächen mit Fingerabdrücken oder der Karton von Obdachlosen werden Teil seiner skulpturalen Auseinandersetzungen.
Sein Abschied von der Kunstschule ist kein Schlusspunkt, sondern ein Komma. Martin lacht über die Frage, ob ihn die Pension beschäftige: „Ich habe viele Pläne.“
Berlin wartet. Für sechs Monate wird er dort als Artist-in-Residence arbeiten. Was genau entstehen wird, weiss er nicht – und genau das ist Teil seiner Haltung: Offenheit für das Ungewisse, Mut zur Suche, Lust auf Prozess.
Martin Walch zeigt, was wir von Künstlern lernen können: Übergänge sind Chancen. Pension ist kein Ende, sondern ein neuer Anfang. Kunst ist kein abgeschlossenes Werk, sondern ein Dialog, ein Prozess, der uns vom Grübeln ins Umsetzen kommen lässt.
Für die Kunstschülerinnen und -schüler, für die Szene in Liechtenstein, und für uns alle ist er ein Vorbild. Denn er erinnert daran, dass (Lebens-)Gestaltung nicht den Normen folgt, sondern der inneren Notwendigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.